zu "strings"

Im Anfang war das Om ...

 

Stringtheorie

 

In der modernen Physik existieren schon seit vielen Jahrzehnten 2 Haupttheorien mit dem Anspruch, die Grundlagen unserer Welt zu beschreiben: Die allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein und die Quantenmechanik nach Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger. Die Relativitätstheorie erklärt die Vorgänge vom Größenmaßstab des Universums bis hinein in alltägliche technische Anwendungen, während sich die Quantenmechanik auf die Ebene von Elementarteilchen bezieht. Dort gelten völlig andere Gesetze, in denen die Materie mit Wellenfunktionen gleichgesetzt wird und nur unscharf anhand von Wahrscheinlichkeiten dargestellt werden kann.

Beide Theorien sind allgemein anerkannt, beide funktionieren, und beide schließen sich gegenseitig aus, wenn man sie auf den Größenmaßstab der jeweils anderen anwendet. Das heißt, daß sie beide jeweils bestimmte Teilbereiche unserer physikalischen Welt gut beschreiben, aber eben immer nur die eine Seite der Medaille zeigen. Zwischen diesen gegensätzlichen Theorien muß es eine Verbindung geben, eine Synthese aus beiden, von den Physikern „Quantengravitation“, „vereinheitlichte Theorie aller Grundkräfte“, „Theory of Everything“ oder einfach und bescheiden „Weltformel“ genannt. Nach dieser Weltformel sucht man zur Zeit immer noch.

Dazu gibt es eine ganze Menge verschiedener Theorien, die alle noch nicht bewiesen werden konnten, aber teilweise gute Erklärungen unserer Welt liefern könnten und manchmal Ähnlichkeiten und Berührungspunkte untereinander haben, so daß sie plausibel erscheinen. Darunter sind auch die 5 Varianten der Stringtheorie, die in den 1970er und -80er Jahren entwickelt wurden.

 

„In der Stringtheorie sind die fundamentalen Objekte nicht Teilchen, die einen einzigen Punkt im Raum einnehmen, sondern eindimensionale Fäden, genannt Strings. Diese Strings können Enden haben oder sich mit sich selbst zu geschlossenen Schleifen verbinden. Genau wie die Saiten einer Geige besitzen die Strings in der Stringtheorie bestimmte Resonanzschwingungsmuster mit Resonanzfrequenzen, deren Wellenlängen genau auf die Länge des Strings passen. Doch während die verschiedenen Resonanzfrequenzen von Violinsaiten unterschiedliche Töne erzeugen, rufen die verschiedenen Schwingungen eines String verschiedene Massen und Kraftladungen hervor, die als verschiedene Elementarteilchen interpretiert werden. Grob gesagt, je kürzer die Wellenlänge der Stringschwingung, desto größer die Masse des Teilchens.“ 1 )

 

Einheitliche Welttheorie ?

 

Ein eindimensionales Teilchen, quasi ein Nichts, das durch seinen Schwingungszustand Materie und Anziehungskräfte erst hervorruft ? Ein masseloses Etwas, das, je nach Frequenz, unterschiedliche Massen und Energien erzeugt ? Ist dann nicht die Frequenz an sich – eine reine Information - verantwortlich für das Bestehen der Materie ?

Bei diesen Gedanken kamen mir die folgenden Assoziationen:

 

„Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott.“ 2 )

Ein Wort, eine Schwingung, die Information transportiert, als Schöpfungsakt.

 

„Die Zahl ist das Wesen aller Dinge.“ 3 )

Auch die Zahl ist reine, immaterielle Information. Manchmal wird dieser Satz von Pythagoras im Sinne einer Weltenharmonie, von Schwingungsverhältnissen z.B. der Planetenbahnen untereinander, interpretiert.

 

„Om! Diese Silbe ist die ganze Welt. Ihre Erläuterung ist wie folgt.

Das Vergangene, das Gegenwärtige und das Zukünftige, dieses alles ist der Laut Om. Und was außerdem noch über die drei Zeiten hinausliegend ist, auch das ist der Laut Om.“ 4 )

Auch hier bildet eine Silbe, eine Schwingung, eine Information den Urgrund der Welt.

 

Diese Gedanken drängen mir die Hoffnung auf, es könne vielleicht so wie eine innerphysikalische „Theory of Everything“ eines fernen Tages auch wieder - wie in der Antike - eine Art „einheitliche Welttheorie“, eine Synthese aus Naturwissenschaft und Religion, eine ganzheitliche Sichtweise der Welt gefunden werden, und zwar auf Grundlage und als Weiterentwicklung der modernen Physik.

 

Positivismus negativ

 

Die heutige Naturwissenschaft hat den Nachteil, daß sie auf mathematischen Theorien fußt, die kaum noch jemand mit seinem Verstand nachvollziehen kann. Zusätzliche Dimensionen, imaginäre Zeitachsen und ähnliches werden herangezogen, um die Modelle, die unsere Welt beschreiben sollen, funktionieren zu lassen. Wenn die Modelle funktionieren, muß man annehmen, daß sie zutreffen, doch sie haben keinerlei Entsprechung mehr in unserer Erfahrungswelt. Stephen Hawking, einer der größten zeitgenössischen Physiker, formuliert das so:

 

„Ich bin der Meinung, jede vernünftige wissenschaftliche Theorie, ob sie sich nun mit der Zeit oder einem anderen Konzept beschäftigt, sollte sich auf die für den Praktiker zweckmäßigste Wissenschaftsphilosophie gründen: den positivistischen Ansatz, den Karl Popper und andere entwickelt haben. Nach dieser Auffassung ist eine wissenschaftliche Theorie ein mathematisches Modell, das unsere Beobachtungen beschreibt und kodifiziert. Eine gute Theorie beschreibt ein großes Spektrum von Phänomenen auf der Grundlage einiger einfacher Postulate und macht eindeutige Vorhersagen, die sich überprüfen lassen. Wenn die Vorhersagen mit der Beobachtung übereinstimmen, dann hat die Theorie diesen Test bestanden, doch lässt sich nie vollständig beweisen, dass sie richtig ist. Stimmen die Beobachtungen hingegen nicht mit den Vorhersagen überein, müssen wir die Theorie aufgeben oder verändern. (...) Wenn man, wie ich, den positivistischen Standpunkt bezieht, kann man die Frage, was die Zeit tatsächlich ist, nicht beantworten. Man kann lediglich beschreiben, was sich als sehr gutes mathematisches Modell der Zeit erwiesen hat, und sagen, welche Vorhersagen es macht.“ 5 )

 

„Ich muss bekennen, dass ich mich bislang schwer getan habe, an zusätzliche Dimensionen zu glauben. Doch da ich Positivist bin, hat die Frage „Gibt es wirklich zusätzliche Dimensionen?“ keine Bedeutung für mich. Sinn macht es allenfalls zu fragen, ob mathematische Modelle mit zusätzlichen Dimensionen eine gute Beschreibung des Universums liefern.“ 6 )

 

„Man könnte meinen, imaginäre Zahlen seien lediglich eine mathematische Spielerei, die nichts mit der realen Welt zu tun haben. Aus positivistischer Sicht lässt sich jedoch nicht bestimmen, was real ist. Wir können lediglich nach den mathematischen Modellen suchen, die das Universum beschreiben, in dem wir leben. Wie sich herausstellt, sagt ein mathematisches Modell, das die imaginäre Zeit einbezieht, nicht nur Effekte voraus, die wir bereits beobachtet haben, sondern auch solche, die wir noch nicht haben messen können, von deren Vorhandensein wir aber aus anderen Gründen überzeugt sind. Also, was ist real/reell und was imaginär? Gibt es die Unterscheidung nur in unserem Denken?“ 7 )

 

So faszinierend die Erkenntnisse auch sind, die auf diese Weise gewonnen werden konnten, führt der Positivismus doch zu einer Entfremdung des Großteils der Menschheit vom derzeit gültigen Weltbild der Wissenschaften. Ein ganzheitliches Weltbild gibt es nicht mehr. Wir haben vom „Baum der Erkenntnis“ gegessen und uns aus unserem alten „Paradies“ (persisch = „Einzäunung“!!) ausgesperrt, oder auch befreit, je nach Sichtweise. Aber vielleicht versteckt sich in den komplizierten Formeln schon ein neues, andersartiges Weltbild, vielleicht sehen wir vor lauter Bäumen („der Erkenntnis“) den Wald noch nicht ...?

 

Beuys: Antithese oder Synthese ?

 

Stephen Hawking beweist auf mathematischem Weg das nicht Wahrnehmbare.

Einer, der das nicht Beweisbare auf mystischem Weg wahrnehmbar zu machen versuchte, war Joseph Beuys. Seine Kunst arbeitet mit Intuition, Tiermythologien, christlichen Bildern, schamanistischen Ritualen, symbolisch aufgeladenen Naturstoffen.

 

„Ich habe erkennen müssen, daß nur eine ganz kleine Minderheit noch in der Lage ist, die Bilder zu verstehen. Die Zeit erzieht zu abstrakten Begriffen. Auf der documenta habe ich erfahren, daß die meisten Menschen glauben Kunst verstandesmäßig begreifen zu müssen. Die Erlebnisorgane sind vielen schon abgestorben. Es sollten Begriffe gebildet werden, die an dieser Bewußtseinslage anknüpfen, um über ganz andere Kraftzusammenhänge zu sprechen." 8 )

 

Dieses Konzept intuitiver Wahrnehmung klingt nach absolutem Gegensatz zum positivistischen Weltbild, nach einem Entweder-Oder, nach einer Regression des Verstandes. Oder verhalten sich beide Sichtweisen wie These und Antithese, mit der Möglichkeit einer Synthese ? Kann es eine „Einheitliche Welttheorie“ geben ? Es mag überraschend erscheinen, aber Joseph Beuys selbst vertritt in diesem Gegensatzpaar weniger die Antithese, sondern versuchte bereits eine Antwort im Sinne einer Synthese:

 

„ ... Ich setze diesem positivistischen Weltbild, seinem Koordinatensystem, meinetwegen auch dem erweiterten Koordinatensystem über der Euklidischen Mathematik, also dieser positivistischen Kultur zunächst einmal ein Bild gegenüber von einer Welt, die nach der herrschenden Meinung überholt ist. Meines Erachtens ist sie nicht überholt, sie wird sogar etwas Hochaktuelles, wenn man sich ihr auf dem richtigen Weg nähert. Auch die etablierte Ordnung bietet mit ihren exakten naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden durchaus Wege. Ich war nie der Meinung, unser zivilisatorischer Stand sei negativ zu beurteilen. Ich wende mich zwar zurück, gehe zurück, suche ebenso das Existierende zu erweitern, indem ich es nach vorn durchbreche. Auf diese Weise werden alte mythische Inhalte aktuell.“

 

„... ich will etwas für die Gegenwart und für die Zukunft tun, etwas Allgemeingültiges. Deswegen sind meine Aktionen nicht subjektivistisch zu verstehen. Sie sind ein Anklopfen an Wände, ein Anklopfen an das Gefangensein in unserem zivilisatorischen Kulturbewußtsein, sie zeigen ein Gegenmodell zum Alleinherrschenden, zum Nur-Rationalen, auf.“

 

„... Nicht Regression ist es, sondern das einzige, was in Frage kommt, ist Progression und durch welche Methodologie man Progression fördert, darauf kommt es mir an. Ich möchte nochmals betonen, daß es mir nie darum gegangen ist, den positivistischen oder materialistischen Wissenschaftsbegriff abzuschaffen, im Gegenteil, es läßt sich nachweisen, daß ich ihn sogar feiere; daß ich ihn aber nur feiern kann als Durchgangssituation in seinem sektorenhaften Dasein, in seiner Einseitigkeit und in den Ergebnissen natürlich,daß er immerhin Glanzvolles erreicht hat. Wenn ich sowohl den Wissenschaftsbegriff (...) wie auch die formale Demokratie als gegenwärtige Gesellschaftsform, die sich ja parallel zueinander gebildet haben, mit Bildern unter Kritik nehme (...) so will ich nicht weg von modernen Errungenschaften, sondern ich will hindurch, ich will erweitern, indem ich versuche, eine größere Basis des Verständnisses zu schaffen. (...) dadurch wurde der Mensch in eine Denkdisziplin hineingebracht, die seine Eigentätigkeit so stark angeregt hat, daß das ein Bildungsprozeß ist, d.h., daß er sich darin findet als unabhängig von Gott, von alten Zusammenhängen, daß er diese Verbindungen aber auf einer höheren Ebene, nachdem er sich sozusagen befreit hat, wiederfinden muß, das ist eine ganz klare Tatsache.“ 9 )

 

Beuys sucht die Befreiung von alten Mythologien einerseits und von der entfremdeten Wissenschaft andererseits durch die Integration beider Pole auf einer höheren Entwicklungsstufe. Daß er dazu bei genauerem Nachlesen oft auf die um 1900 entstandene esoterische, pseudowissenschaftliche Gedankenwelt Rudolf Steiners zurückgreift, die auf den damaligen naturwissenschaftlichen Ansätzen beruht, kann irritierend wirken. Aber dadurch verliert für mich der Gedanke an eine mögliche „Einheitliche Welttheorie“ grundsätzlich nichts von seiner Faszination, er sollte auch in unserer Zeit denkbar bleiben. Und ich glaube, daß, wenn eines Tages die Physiker ihre Weltformel gefunden haben werden, man irgendwo darin auch eine Parallele zu einem uralten Schöpfungsmythos finden wird.

 

 

1) Stephen Hawking, Das Universum in der Nussschale, Taschenbuchausgabe dtv, München 2003, 4. Auflage 2007, S.60

2) Die Bibel, Einheitsübersetzung, Joh 1,1

3) Pythagoras zugeschrieben

4) Beginn der Mandukya-Upanishad des Atharva-Veda, zwischen 800 und 500 v.Chr.

5) Hawking, S.39

6) ebd., S.62

7) ebd., S. 67

8) Joseph Beuys, zitiert nach Harlan / Rappmann / Schata, Soziale Plastik, Materialien zu Joseph Beuys, Achberger Verlag 1976, 3.erw. Auflage 1984, S. 39

9) ebd., S. 96 / 97

 

© Boris Berns 2008