zu "entropie"

Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Notebooks gespeichert war ...

Wer nicht im Notebook des Lebens gespeichert war, wurde in den Feuersee geworfen ...

 

Der 2. Hauptsatz der Thermodynamik

 

„Alle spontan in eine Richtung ablaufenden Prozesse sind irreversibel.“

„In einem geschlossenen, isolierten System kann die Entropie nicht geringer werden.“

 

Dies sind 2 Formulierungen für den 2. Hauptsatz der Thermodynamik, ein physikalisches Naturgesetz. Die beiden bekanntesten Beispiele zur Erklärung des Satzes sind die Tasse, die spontan herunterfällt und in 1000 Scherben zerspringt ( wohingegen niemals 1000 Scherben spontan zu einer Tasse zusammenspringen werden ) und die 2 verschieden warmen Teile Wasser, die gemischt die Durchschnittstemperatur annehmen, sich aber niemals mehr in 2 verschieden warme Anteile trennen lassen. Es gibt also physikalische Prozesse, die spontan ablaufen, aber nicht umkehrbar sind, es sei denn durch Energiezufuhr von außen. So könnte man das gemischte Wasser durch Wärmetauscher oder Kältemaschinen in den Ursprungszustand zurückversetzen, aber diese Apparaturen benötigen Energiezufuhr, um ihre Arbeit zu verrichten. Der Begriff „Entropie“ wird oft – zugegeben sehr laienhaft verkürzt – mit „Unordnung“ übersetzt: Tasse = Ordnung, Scherben = Unordnung, spontaner, irreversibler Prozeß, die Entropie nimmt zu. Eine andere „Übersetzung“ lautet „Zunahme der Gleichverteilung“: Die kalten Wassermoleküle mischen sich mit den heißen zu lauwarmem Wasser, die Wärme wird gleichmäßiger verteilt. Auch das ist in gewisser Weise eine Zunahme von „Unordnung“, da sich nun alle Wassermoleküle zufällig durcheinander bewegen können, während sie vorher nach ihrer Temperatur geordnet waren. In einem abgeschlossenen System, ohne Energieaustausch mit der Umgebung, bleibt gemäß den Lehrsätzen der Thermodynamik zwar die Energiemenge konstant, aber die Energie strebt danach, sich immer gleichmäßiger zu verteilen, die Entropie kann nur zunehmen. Dieses Naturgesetz wird von vielen Physikern als eines der grundlegendsten überhaupt betrachtet:

 

"Ich glaube, daß dem Gesetz von dem ständigen Wachsen der Entropie - dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik - die erste Stelle unter den Naturgesetzen gebührt. Wenn jemand Sie darauf hinweist, daß die von Ihnen bevorzugte Theorie des Universums den Maxwellschen Gleichungen widerspricht - nun, können Sie sagen, um so schlimmer für die Maxwellschen Gleichungen. Wenn es sich herausstellt, daß sie mit der Beobachtung unvereinbar ist - gut, auch Experimentalphysiker pfuschen manchmal. Aber wenn Ihre Theorie gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstößt, dann ist alle Hoffnung vergebens. Dann bleibt ihr nichts mehr übrig, als in tiefster Demut in der Versenkung zu verschwinden." 1 )

 

Diesem Gesetz unterliegen natürlich auch alle Lebewesen: Unser Körper, eine Ordnung aus vielen Organen und Gewebestrukturen, strebt danach, in Unordnung, sprichwörtlich zu Staub zu zerfallen, wenn man ihm nicht ständig Energie von außen zuführt. Das geschieht in Form von Sauerstoff und Nahrung, die in einem Verbrennungsprozeß Energie freisetzen. Diese Energie dient dazu, die Ordnung aufrecht zu erhalten, und so die Zunahme der Entropie abzuwenden. Doch woher kommt diese Energie? Wir nehmen z.B. einen Apfel oder ein Tier zu uns. Das sind, ebenso wie wir, aus verschiedenen Zelltypen nach einer bestimmten Ordnung zusammengesetzte Organismen. Was wir davon später ausscheiden, ist einerseits gasförmiges Kohlendioxid, das sich sofort zufällig und möglichst gleichmäßig im Raum verteilt, sowie weitere Produkte, die ebenfalls wesentlich mehr Entropie enthalten als der Apfel ... Das heißt, wir gewinnen die nötige Lebensenergie durch Zerstörung von geordneten Strukturen außerhalb unseres Körpers. Dabei nimmt in uns die Entropie ab, außerhalb aber nimmt sie zu. Hören wir damit auf, d.h. mit dem Atmen und Zuführen von Nahrung, passiert genau das, was ein Leben lang verhindert wurde: Wir zerfallen unter Zunahme der Entropie zu Staub. Schon der bedeutende Physiker Ludwig Boltzmann (1844-1906) schreibt:

 

"Der allgemeine Lebenskampf der Lebewesen ist nicht ein Kampf um die Grundstoffe,... auch nicht um Energie, welche... in jedem Körper reichlich vorhanden ist, sondern ein Kampf um die Entropie."

 

Physikalisch läßt sich beweisen, daß im System Mensch – Nahrung - Umwelt die Entropie insgesamt stets zunimmt, was nach dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik nicht anders zu erwarten wäre. Dem entspricht oft auch unsere alltägliche Erfahrung: „Nichts bleibt, wie es ist; alles geht den Bach runter ...“

 

Vom Ende der Welt

 

Da stellt sich natürlich die weitergehende Frage: Wohin wird das alles einmal führen ? Betrachtet man das Universum als abgeschlossenes System ohne Energiezufuhr von außen, und davon müssen wir nach dem derzeitigen Kenntnisstand ausgehen, dann kann die Entropie, die Unordnung, die Gleichverteilung der Energie und Materie darin nur weiter zunehmen. Vorausgesetzt, das Universum fällt nicht wieder in sich zusammen, so ist die logische Konsequenz daraus, daß irgendwann, in vielen Milliarden Jahren, die gesamte Energie und Materie im Universum völlig gleichmäßig verteilt sein werden, in einer überall gleich dichten und gleich warmen Wolke aus Elementarteilchen. Dieser Zustand wird „Wärmetod des Universums“ genannt. Physikalisch gesehen ist dann keinerlei Energiedifferenz mehr zum Leisten von Arbeit nutzbar, nichts geht mehr, nichts kann mehr rückgängig gemacht werden. Diese düstere Perspektive erkannte 1854 erstmals der Physiker Hermann von Helmholtz und faßte sie in beinahe poetische Worte:

 

"...daß all die Anstrengungen der Generationen, all die Hingabe, all die Inspiration, all der helle Glanz des menschlichen Genies im umfassenden Tod des Sonnensystems dem Untergang geweiht sind, daß der ganze Tempel der Errungenschaften des Menschen unausweichlich unter den Trümmern eines verfallenden Universums begraben werden wird - all diese Dinge sind, wenn nicht gänzlich unzweifelhaft, doch nahezu so gewiß, daß keine Philosophie, die sie verwirft, weiterhin auf Geltung hoffen kann. Nur im Gerüst dieser Wahrheiten, nur auf der festen Grundlage unnachgiebiger Verzweiflung kann von nun an die Wohnung der Seele sicher errichtet werden." 2 )

 

Entropie im Datensalat

 

Auf den ersten Blick scheint es verwirrend, daß der Begriff der Entropie auch in einem völlig anderen wissenschaftlichen Gebiet benutzt wird: In der mathematischen Wahrscheinlichkeitslehre, der sprachwissenschaftlichen Informationstheorie und der Datenverarbeitung. Dort dient er der Beschreibung, wieviel Zufall in einem System von Zeichen, also Zahlen oder Buchstaben, enthalten ist. Die Zahlenreihe 1-0-1-0-1-0-1-0-1-0-1-0-1-0-1-0 ist wenig zufällig, ebenso die Folge 1-1-1-1-1-1-1-1-0-0-0-0-0-0-0-0. Zufälliger dagegen ist die Reihe 0-1-0-0-0-1-0-1-1-1-0-1-1-0-0-1, bei gleicher Art und Anzahl der Elemente. Das hat wieder etwas mit Ordnung und Unordnung zu tun, deshalb die analoge Verwendung des Begriffs Entropie. Die erste Zahlenreihe kann man kürzer ausdrücken: 8x(1-0), ebenso die zweite: 8x1, 8x0. Die dritte allerdings muß man voll ausschreiben, sie läßt sich nicht abkürzen, da ihre Entropie hoch ist. In der Datenverarbeitung nutzt man diesen Effekt, indem man die geordneten Abschnitte einer Datei abgekürzt schreibt, um die Datenmenge – und damit den benötigten Speicherplatz – zu reduzieren. Solche Methoden der Datenkompression finden vor allem in den beliebtesten Formaten von Bild-, Video- und Audiodateien Verwendung: JPEG, MPEG und MP 3. Dabei lassen sich Dateien mit großflächigen geordneten Strukturen (z.B. ein Photo mit viel blauem Himmel) wesentlich stärker komprimieren als solche mit unregelmäßigen, kleinen Mustern (z.B. das Photo einer bunten Blumenwiese). Letztere enthalten mehr Zufall und mehr Informationen, also brauchen sie mehr Speicherplatz. Dieser bemißt sich in Bits und Bytes, gegebenenfalls auch in Megabytes. Wichtig ist jedoch, daß ungeordnetere Strukturen mehr Bits zu ihrer Darstellung benötigen als geordnetere, dadurch aber auch mehr Informationen transportieren können.

 

Die große universale Datei ?

 

Die Analogsetzung der beiden Entropiebegriffe aus der Thermodynamik einerseits und der Informationstheorie andererseits ist meines Wissens unter Physikern umstritten. Die Formulierung des inneren Zusammenhangs in einer beweisbaren mathematischen Gleichung steht noch aus. Dennoch ist offensichtlich, daß beide Entropiebegriffe das Maß von Ordnung und Zufall in einem System beschreiben. Stephen Hawking, einer der führenden lebenden Astrophysiker, setzt sie offensichtlich bereits gleich:

 

„Da Entropie nichts anderes als ein Maß für die Gesamtinformation in einem System ist, (...) “ 3 )

 

Wenn das stimmt und die Entropie in einem abgeschlossenen Universum ständig zunimmt (s.o.), dann nimmt auch die Gesamtinformation in diesem Universum ständig zu. Sprich: Die Datenmenge, die die Materie beschreibt, wächst unaufhaltsam.

 

Eine Vernichtung von Informationen nahm man dagegen bisher für den Fall an, daß Materie oder Strahlung in ein sogenanntes „Schwarzes Loch“ fällt, dort extrem verdichtet und für immer unsichtbar festgehalten wird. Zu Hawkings größten Entdeckungen zählt aber der Beweis, daß selbst Schwarze Löcher Entropie besitzen und nicht ewig fortbestehen, sondern sich im Laufe der Zeit ( sehr viel Zeit ! ) unter dem Druck ihrer Schwerkraft vollständig in Energiestrahlung auflösen müßten. Strahlung ( = Schwingung, Welle, Frequenz ) ist aber immer auch Informationsträger. Zusammengenommen mit neueren Entwicklungen in der Stringtheorie 4 ) scheint zumindest die Möglichkeit zu bestehen, daß Informationen über die in ein Schwarzes Loch gestürzte Materie dieses auch wieder verlassen könnten. 5 )

 

Die Welt vergeht, alle Ordnung zerfällt, der Zufall gewinnt immer mehr Macht. Die Datenmenge, die man bräuchte um die Welt zu beschreiben, wächst ins Unermessliche.

Aber sollte die Strahlung im Universum am Ende immer noch Informationen über uns enthalten ?

 

 

1) Eddington, Arthur S.: Das Weltbild der Physik und ein Versuch seiner philosophischen Deutung, Braunschweig 1931; zitiert nach: Davies, Paul: Prinzip Chaos - Die neue Ordnung des Kosmos (engl. Original: „Cosmic Blueprint“) Deutsche Übersetzung von Friedrich Griese, München 1988

2) Russel, Bertrand: Why I am not a Christian, New York 1957, S.107; zitiert nach Davies, Paul, S.34., siehe oben

3) Hawking, Stephen: Das Universum in der Nussschale, dtv München 2003, 4. Auflage 2007, S.72

4) siehe auch mein Text zur Serie „Strings“: „Im Anfang war das Om ...“

5) vergleiche Hawking, S. 126-137

 

© Boris Berns 2008